Beispiel: UVS zur Erneuerung der Wurmberg-Seilbahn (Harz)
Auf den ersten Blick erschien dieser Auftrag alltäglich: es geht hier um die Erneuerung einer seit über 30 Jahren bestehenden Seilbahn, die unter Beibehaltung der Trassenführung und der Seilbahnstationen modernisiert werden soll. Erst die Bearbeitung zeigte, daß hier an der Schnittstelle zweier Bundesländer und ihrer jeweiligen Nationalparke ein überdurchschnittliches Konflikt-, aber auch Entwicklungspotential für den Wurmberg vorzufinden ist.
Die naturschutzfachliche Beurteilung durch die zuständigen Behörden läßt einige Ungereimtheiten zutage treten:
Trotz erheblicher naturschutzfachlicher Wertigkeiten und Entwicklungspotentiale wurde der Wurmberg nicht in den Nationalpark "Harz" auf niedersächsischer Seite einbezogen. Der Nationalpark "Hochharz" im Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt grenzt unmittelbar an, ohne daß die landschaftliche Ausprägung dort anders wäre.
Auch die Waldbiotopkartierung, ansonsten flächendeckend für die niedersächsichen Forstämter durchgeführt, spart den Wurmberg aus - eine Vernachlässigung, die für die höchste Erhebung Niedersachsens mit einem seit den fünfziger Jahren bestehender "Nichtwirtschaftswald" kaum zu rechtfertigen ist. Im Gegenteil wurde von der zuständigen Naturschutzbehörde sogar öffentlich die Entlassung des Wurmberges aus einem der ältesten niedersächsischen Naturschutzgebiete erwogen, weil diese weitgehend im Nationalpark aufgegangen ist.
Die Fremdenverkehrsverbände im Harz unterstreichen stets den heidnischen Hexenkult, der vor allem zur Walpurgisnacht viele Kurzurlauber anlockt. Hingegen ist eine frühgeschichtliche Kultstätte auf dem Wurmberg nach ihrer weitgehenden archäologischen Erkundung in den sechziger Jahren wieder mit Erde überdeckt worden. Die Auswertungen schlummern in den Archiven. Anläßlich der Erneuerung der Wurmbergseilbahn erhebt der Denkmalschutz Anforderungen. Welches aber sind die Anforderungen an einen zeitgemäßen Denkmalschutz im Sinne einer Präsentation und Dokumentation der kulturellen Vergangenheitswerte? In diesem Gutachten habe ich einige Perspektiven vorzuschlagen, obwohl dies im engen Sinn nicht meine Aufgabe war. Mittlerweile ist allerdings herausgekommen, dass die alte Kultstätte die Erfindung eines Braunlager Försters war, der auf seine Weise dazu beitragen wollte, die Attraktivität des Wurmberges für den Tourismus zu steigern. Schön, dass nicht alles so tierisch ernst zu nehmen ist...
Wenn ein Ministerpräsident persönlich die Erschließung eines neuen Wintersportgebietes in einem Nationalpark propagiert, ist es zumindest von behördlicher Seite schwer, die Konflikte offen darzulegen und gravierende Bedenken anzumelden. Das Projekt "Schierke 2000" hat einen beträchtlichen Aktenumfang erreicht, ist aber derart konfliktträchtig, daß es wohl schwerlich realisiert werden wird. Da dieses Projekt auch den Wurmberg einbezieht, mußte es im Rahmen des Gutachtens mit behandelt werden.
Die Bearbeitung der Studie machte mir deutlich, daß gerade touristisch bedeutsame Kulturlandschaften ein umfassendes, Verwaltungsgrenzen überschreitendes Schutz- und Entwicklungskonzept benötigen. Allerdings ist mir auch die Schwierigkeit deutlich geworden, unterschiedliche Wert- und Zielvorstellungen verschiedener Verwaltungsbehörden und Politiker auf einen Nenner zu bringen. Das Vorhaben ist zwischenzeitlich erfolgreich planfestgestellt worden, seit Ende 2000 ist die neue Wurmbergseilbahn in Betrieb.