Zu diesem Thema haben wir 1992 zusammen mit Prof. Dr. Jürgen Hasse (heute Universität Frankfurt/M.) das bundesweit erste Gutachten im Auftrag des Landkreises Wesermarsch erstellt. Es passte nicht ganz in den Zeitgeist und wurde daher nicht veröffentlicht, kursiert seither jedoch sehr lebhaft, wie wir aus verschiedenen Anfragen und Einladungen zu Veranstaltungen zum Thema Windenergie erfahren haben. 1998 erhielt ich einen Anruf aus Kalifornien, der mich unter Bezug auf dieses Gutachten zur internationalen Tagung "Wind Energy and The Landscape" nach Bellagio (Italien) einlud! Dort entstand in Zusammenwirken mit namhaften amerikanischen und europäischen Fachleuten das Werk "Wind Power in View".
Das Problem:
Mit Inkrafttreten des Energieeinspeisungsgesetzes zum 1. Januar 1991 wurden Baubehörden der küstennahen Landkreise mit einer Antragsflut für Windkraftanlagen überschwemmt, ohne planerisch auf diese revolutionäre Veränderung vorbereitet zu sein. Sofort begann eine intensive, teilweise sehr hitzig geführte Debatte über die Auswirkungen von Windenergieanlagen. Parallel dazu lief die Genehmigungspraxis nahezu beliebig ab: von Landkreis zu Landkreis wechselten die Anforderungen, die an entsprechende Bauvorhaben gestellt wurden.
Dabei ist es bis heute geblieben, denn weder das Land Niedersachsen noch andere Bundesländer haben sich zu einem einheitlichen Konzept für Windenergieanlagen durchringen können. Genauso wenig wie zu einem bundeseinheitlichen Energiekonzept, was sich in steigenden Strompreisen für die Verbraucher bei sinkenden Erzeugerpreisen und in der hartnäckig verteidigten Zielvorstellung der Erfordernis neuer Höchstspannungsleitungen zum Ausdruck bringt. Dabei dürfte sich langsam herumgesprochen haben, dass nicht die Offshore-Windparks diese Erfordernis erzeugt haben, sondern die durch die Kernkraftlobby bewirkte Verlängerung der AKW-Laufzeiten vor Fukushima.
Der Energiesektor ist somit weiterhin äußerst konfliktträchtig, und zwar durch das Wirken aller Regierungen seit 1991...
1. Problemstellung
Das steigende Bewußtsein um die Risiken, Gefahren und Nebenwirkungen nuklearer, aber auch konventioneller Stromerzeugung hat Forderungen nach der emissionsarmen Nutzung regenerativer Energiequellen verstärkt. Durch das seit dem 1. Januar 1991 rechtskräftige Energieeinspeisegesetz in Verbindung mit einschlägigen Förderrichtlinien für die Gewinnung von Elektrizität aus regenerativen Energieformen ist derartigen Forderungen - zumindestens teilweise - entsprochen worden. Gefördert wird insbesondere die Nutzung der Windenergie, welche vor allem in den küstennahen Landschaften erfolgversprechend erscheint.
Im Gegensatz
zu unseren niederländischen und vor allem unseren dänischen
Nachbarn, bei denen die Nutzung von Windenergie zur Erzeugung von
Elektrizität seit langem praktiziert wird, hat sich in der
Bundesrepublik seit dem 1. Januar 1991 schlagartig eine
Veränderung der Situation ergeben. Einer gegenüber privaten
Energieeinspeisern sehr restriktiven Politik ist eine Politik der
Förderung ressourcenschonender Kleinanlagen gefolgt, welche eine
Vielzahl von Bauanträgen für Windenergieanlagen (im folgenden
mit WEA abgekürzt) nach sich gezogen hat. Diese Antragsflut
konzentriert sich vor allem auf die norddeutschen
Küstenlandkreise, da hier bei einer mittleren
Jahreswindgeschwindigkeit von 5 m/s eine wirtschaftliche Nutzung zu
erwarten ist. Bei der Zahl der Bauanträge, welche in jedem
niedersächsischen Küstenlandkreis deutlich über 100
liegt, läßt sich jedoch absehen, daß auch eine Nutzung
regenerativer Energieformen nicht ohne Auswirkungen für die
Landschaft in ökologischer und ästhetischer Hinsicht bleiben
kann. Während jedoch die ökologischen Auswirkungen von WEA
bereits Gegenstand umfangreicher Untersuchungen waren, besteht
über die ästhetische Dimension des bevorstehenden
Landschaftswandels noch weitgehende Unklarheit. Nicht nur die
betroffenen Naturschutzbehörden sind sich dieses Problems
bewußt, sondern auch die vom Tourismus lebenden Gemeinden, welche
um die Attraktivität ihrer Landschaft fürchten. So wurde vom
Landkreis Wesermarsch in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung
Weser-Ems ein Gutachten über die ästhetischen Auswirkungen
von WEA in Auftrag gegeben, dessen Grundzüge und Ergebnisse an
dieser Stelle referiert werden sollen.
2. Landschaftsästhetik als subtiler Prozeß
Der alltägliche Begriff von "Ästhetik" lehnt sich an Assoziationen des Schönen und optisch Gefälligen an; danach liefe der Begriff der "Landschafts-Ästhetik" auf eine (imaginäre) 'Lehre "schöner Landschaften"' hinaus. Solche Irrtümer gilt es abzubauen! Gleichwohl dürfen Landschaften nicht als "Realobjekte" unterstellt werden, denn das, was die Menschen mit der Abstraktion 'Landschaft' verbinden, ist nicht objektivierbar (vgl. HARD 1991, WENZEL 1991, SCHWAHN 1990). 'Landschaften' sind vielmehr "Sehfiguren" (HARD), die nach gesellschaftlichem, sozialpsychologischem und nicht zuletzt biographischem Bild-Bedarf im Prozeß der Wahrnehmung mimetisch erzeugt werden. Wir gehen deshalb vom klassisch griechischen Ästhetik-Begriff aus (Aisthesis), wonach alles ästhetisch ist, "was unsere Sinne beschäftigt, in uns Empfindungen und Gefühle entstehen läßt und auf solchen Wegen unser Bewußtsein prägt" (ZUR LIPPE 1987). Wir haben "Landschafts-Ästhetik" somit als einen subtilen Prozeß zu begreifen, in dessen Vollzug bedeutsame Beziehungen zwischen einem Subjekt und einem Umweltausschnitt hergestellt werden. Wir sehen, daß "Landschafts-Ästhetik" zunächst in keiner Weise die Tendenz eines spezifischen ästhetischen Wertes (wie "schön") präjudiziert.
Um diese
konkreten Wertfragen geht es aber in der naturschutzrechtlichen und
raumordnungspolitischen Lösung der Frage nach geeigneten
Standorten für visuell herausragende Anlagen wie z.B. WEA, die den
Landkreisen als Untere Naturschutzbehörde und Instanz der
Regionalen Raumplanung obliegt:
An welchen Standorten sind WEA
Wenn die Auswahl und Ausweisung von Standorten für die Erschließung von WEA (z.B. im Regionalen Raumordnungsprogramm und in den Flächennutzungsplänen der Kommunen) nicht nur formalrechtlich begründet werden soll, ist es unumgänglich, potentielle Konfliktfelder näher einzugrenzen. M.a.W.: Was "Schönheit der Landschaft" bedeutet, wäre unter dem Gesichtspunkt konkreter Landschaften und deren "Nutzer" (d.h. konkreter ästhetischer Mensch-Umwelt-Beziehungen) erst zu präzisieren. Entsprechende Aussagen können keinen kausallogischen Charakter haben; sie orientieren sich vielmehr an der semantisch "weichen" Struktur von Grund-Folge-Relationen. So werden auch nicht definitive Sätze als normative Gundkategorien angestrebt, sondern Hypothesen, die sich als Suchinstrumente bei der Findung problem- und krisenminimierender Lösungsansätze zu bewähren haben. Bei dieser Hypothesenbildung sind insbesondere zwei strukturelle Wahrnehmungsvoraussetzungen in Rechnung zu stellen:
1.) In den ästhetischen Beziehungen von Regionsansässigen (Autochthonen) zu ihrer Landschaft werden aufgrund regionaler alltäglicher Handlungsroutinen andere Akzeptanz- und Verweigerungskriterien eine Rolle spielen als in denen von Touristen (Allochthonen), die dem möglichen Wandel einer Region unter der Bedingung einer "Sonderwelt" gegenüberstehen.
2.) Das Thema "Windenergienutzung" wird insbesondere in den nordischen Bundesländern durch politische Parteien ideologisiert. Windenergienutzung gilt a priori als 'vernünftig', 'gut' und 'richtig', ist folglich spezifisch moralisiert. Probleme einer flächenintensiven Erschließung werden zugunsten einer energiepolitischen Idealisierung der Windenergienutzung weitgehend ausgeblendet. Gegen anklingende Kritik wenden nicht selten gerade (dogmatische) Vertreter alternativer Energiepolitik als Argument ein, daß in der KKW-Politik schließlich auch kein entsprechender Aufwand an Umweltverträglichkeitsprüfung betrieben worden sei. M.a.W.: Die öffentliche Kritik an der politischen Praxis der Windenergieerschließung wird subtil und strukturell unterdrückt.
Vor dem Hintergrund dieser Wahrnehmungsvoraussetzungen war ein methodisch tragfähiger Untersuchungsansatz zu entwickeln.
3. Ein interdisziplinärer Untersuchungsansatz: Sozialwissenschaft und Landespflege
In der
Vergangenheit ist wiederholt der Versuch unternommen worden, die
ästhetische Beurteilung von Landschaft oder von Eingriffen in
diese allein aufgrund objektivierter Kriterien oder mit Hilfe eines auf
naturwissenschaftliche Objektivität abzielenden Verfahrens
vorzunehmen.
Wenn angesichts des unter Pkt. 2 dargelegten Ästhetik-Begriffes
die in der Naturschutzgesetzgebung verankerten Wertbegriffe "Vielfalt",
"Eigenart" und "Schönheit" weiterhin aber lediglich als
naturraumspezifische Kriterien gesehen werden (BREUER 1991), so kann
eine solche Vorgehensweise nicht den gesetzlichen Auftrag
erfüllen, die Lebensgrundlage des Menschen und die Voraussetzung
für seine Erholung in Natur und Landschaft dauerhaft zu sichern.
Individuen oder gesellschaftliche Gruppierungen stellen ihre eigenen
ästhetischen Beziehungen zur Umwelt her. Daran kann letztlich auch
eine objektivierte "Darstellung" (i.S. von "Richtig"-Stellung!) von
oben nichts ändern.
Zur Antizipation und planerischen Bewältigung möglicher Konflikte als Folge einer voraussichtlich gravierenden Veränderung einer Landschaft und ihrer Qualitäten als Lebens- und Erholungsraum wurde in der Kopplung von Methoden der Landespflege und der Sozialwissenschaft auf der Grundlage einer Arbeitsgemeinschaft der hier dargestellte interdisziplinäre Ansatz entwickelt.
Landespflegerischer Beitrag
Der Landschaftsplanung fallen zwei wichtige Aufgaben zu: zum ersten die der Standortwahl für WEA - sowohl für Einzelanlagen als auch für größere Windparks; zum zweiten die der Umsetzung der naturschutzrechtlichen "Eingriffsregelung". Die Aufgabe des landespflegerischen Beitrags lag demzufolge in der Ermittlung von Landschaftseinheiten unterschiedlicher Empfindlichkeit gegenüber der Errichtung von WEA, sowie weiterhin in der Auflistung genereller Maßnahmen zur Integration von WEA in die Landschaft. Eine generelle ästhetische Analyse der betroffenen Landschaftseinheiten sollte schließlich Anregungen zur ästhetischen Kompensation der zu erwartenden Eingriffe ermöglichen.
Sozialwissenschaftlicher Beitrag
Ein erstes Ziel der sozialwissenschaftlichen Teilstudie bestand darin, die unter Punkt 2 näher beschriebene ästhetische Beziehung zwischen den verschiedenen "Nutzer"-Gruppen der regionalen Landschaften hermeneutisch über Interviews auszuleuchten. Dazu war der mögliche bervorstehende Wandel der Bilder und Erscheinungen des Regionalen durch die Errichtung von WEA ästhetisch "verfügbar" zu machen. Die Untersuchung strebte damit Aussagen über die Bewertung eines Wandels an, der noch bevorsteht - Aussagen über nutzerspezifische Inhalte der Akzeptanz und Verweigerung verschiedener Formen der Erschließung durch WEA. Diese subjektorientierten Befunde waren zu den Ergebnissen der landespflegerischen Erhebungen (vgl. unten) in Beziehung zu setzen.
Ein zweites
Ziel dieser Teilstudie lag darin, verschiedene Domänen von
Expertenwissen zur Erarbeitung einer "Entscheidungshilfe zur Findung
geeigneter Standorte von Windenergieanlagen" zu erschließen. Zu
diesem Zwecke wurde eine Delphibefragung durchgeführt (vgl. 3.1.).
So konnte neben den ästhetischen Präferenzen "der Leute" die
Erfahrungsressource hochspezialisierter Experten für die
anstehenden administrativen und politischen Aufgaben nutzbar gemacht
werden - als "Angebot denkbarer Antworten".
3.1. Arbeitsmethoden
3.1.1. Sozialwissenschaftliche Arbeitsmethoden
Den Schwerpunkt des sozialwissenschaftlichen Vorgehens bilden 20 qualitative Interviews, von denen 10 mit Einheimischen und 10 mit Touristen geführt worden sind. Qualitative Interviews werden nicht nach einem festen Frageraster durchgeführt; es handelt sich dabei eher um offene Gespräche, in deren Mittelpunkt zunächst der bevorstehende Wandel der Region steht. Als Medium der Veranschaulichung dieses Wandels fungierten diverse größerformatige Farbfotos, auf denen (in strukturähnlichen Regionen errichtete) WEA zu sehen waren. Die durch die Bilder evozierten Gespräche entwickelten sich nach den Präferenzen der Gesprächsteilnehmer. Der Interviewer verstand sich allein als "Gesprächsanimateur", Zuhörer und Verstärker, nicht als Fragensteller. In einem zweiten Gesprächsabschnitt wurden den Partnern diverse Farbfotos möglicher Standorte aus der Region vorgelegt, die zur Artikulation von Akzeptanz- oder Verweigerungsargumenten anregen sollten. Auch in diesem Gesprächsabschnitt galten die Regeln eines offenen, qualitativen Interviews (vgl. MAYRING 1990, WITZEL 1982, HOPF 1991).
Die Interviews wurden auf Band aufgezeichnet, transkribiert, um sodann in mehreren Stufen (zunächst ohne das Ziel der Interpretation zu verfolgen) verdichtet, inhaltlich sortiert und 'ausgemolken' zu werden. Es ergaben sich schließlich sachlich differenzierte und thematisch relevante Aussagenfelder (z.B. Anlagen neben Einzelhöfen, ... in sog. Parks, ... neben historischer Bebauung, ... in "offener Landschaft", ... inmitten emotionalisierter 'Bilder', schließlich zu Funktion und Sinn).
In einer vergleichenden und hypothesenorientierten Auswertung aller aggregierten Befunde konnten danach standortrelevante Aussagen getroffen werden. Dabei war zu berücksichtigen, daß aufgrund nicht angestrebter (und bei der eingesetzten Methode nur mit einem gigantischen Mittelaufwand einlösbarer) Ansprüche einer statistischen Repräsentativität nur solche empfehlenden Schlußfolgerungen formuliert werden konnten, die inhaltlich unterhalb voraussichtlicher Konflikte lagen.
In der zum
zweiten durchgeführten Expertenbefragung (Delphimethode; vgl.
Wechsler 1978, Rauch/Wersig 1978) äußern sich Spezialisten
in mehreren schriftlichen Gesprächsrunden zu dem komplexen und in
sich differenzierten Gegenstand. Im Rahmen dieser Studie haben an der
Delphibefragung teilgenommen: je ein (1.) Gemeindedirektor, (2.)
Regionalplaner, (3.) Landschaftsplaner, (4.) Vertreter eines EVU, (5.)
Vertreter einer Fremdenverkehrs-GmbH, (6.) Naturschutzexperte, (7.)
Hochschullehrer für Ästhetik. Die Gesprächsleitung oblag
der sozialwissenschaftlichen Projektleitung (hier Institut für
Umweltforschung). Als einzige Vorgabe des kommunikativen Verfahrens
wurde dort das Ausgangsproblem skizziert (i.S. von Punkt 1). Die
Experten äußerten sich sodann zu diesem Problemaufriß
schriftlich in sachlich differenzierten und größtenteils
ausführlichen Statements. Die Ergebnisse dieser ersten Runde
wurden durch den Projektleiter ausgewertet, um nun die Basis für
einen zweiten Umlauf zu bilden. Als Ergebnis eines dritten
Durchlaufes konnte schließlich eine detail- und umfangreiche
"Entscheidungshilfe zur Findung geeigneter Standorte von
Windenergieanlagen" verfaßt werden, die die Kommunen bei der
planerischen Lösung der anstehenden Aufgaben auf alle wichtigen
Sachfragen aufmerksam macht.
3.1.2. Landespflegerische Arbeitsmethoden
Bei der Erhebung der landschaftlichen Gestaltqualität konnte zwar auf den Landschaftsrahmenplan zurückgegriffen werden, die Aufgabenstellung erforderte jedoch eine detailliertere Bestandsaufnahme. Die relativ gleichförmige Landschaft der Wesermarsch machte eine problemorientierte Betrachtung unumgänglich, um einerseits Kriterien der Gestaltqualität ermitteln und andererseits räumliche Einheiten unterschiedlicher Sensibilität gegenüber der Errichtung von WEA differenzieren zu können.
Bei der Differenzierung von Untersuchungseinheiten wurde eine starre Rasterung von vornherein ausgeschlossen, da eine solche artifizielle Unterteilung der Landschaft keinen Bezug zum tatsächlichen Erleben besitzt. Das Untersuchungsgebiet wurde vielmehr mit einem Beobachtungsnetz überzogen, welches sich aus den Wegen und Straßen zusammensetzte, von denen der überwiegende Teil des Landschaftserlebens in der Wesermarsch tatsächlich stattfindet. Die Verwendung der Radwanderkarte im Maßstab 1 : 75000 erwies sich nicht nur vom Maßstab her als ideal, sondern erleichterte auch die Auswahl der erlebnisrelevanteren Wege bei der Aufnahme in das Beobachtungsnetz.
Das Untersuchungsgebiet wurde auf diese Weise in 80 Untersuchungsräume eingeteilt. Diese wurden von den sie umgebenden Wegen des Beobachtungsnetzes nach folgenden Kriterien beschrieben:
Sichtweite:
Von erheblicher Bedeutung für die Empfindlichkeit einer Landschaft
gegenüber der Errichtung von WEA ist die Sichtweite. Sie bestimmt
den Raum, welcher von einem Standort aus eingesehen werden kann, und
besitzt damit entscheidenden Einfluß auf das Landschaftserleben.
Landmarken erhalten durch Sichtachsen eine besondere Wirkung.
Vertikale Strukturierung: Sie ergibt sich in der weiten,
überwiegend horizontal angelegten Marschlandschaft im wesentlichen
durch Gehölzbestände und Bebauung. Diese vertikalen Elemente
bestimmen weitgehend die Räumigkeit bzw. Gliederung der Landschaft
und begrenzen den Blick. Darüber hinaus ist ihre Anordnung
maßgeblich am Zustandekommen landschaftlicher Eigenart und
Vielfalt beteiligt.
Horizontbild: Ausgehend von der Annahme, daß WEA in
vielen Fällen horizontbestimmend sein können, war die
Beschreibung des Horizontbildes ein weiteres Kriterium der Erhebung.
Störungen, Belebungen: Ein weiteres bedeutsames
Kriterium bei der problemorientierten Beschreibung von
Landschaftsräumen ist die Frage, inwiefern Störungen oder
Belebungen des Landschaftserlebens vorhanden sind. Die hiermit
verbundene Wertung durch den Landschaftsplaner ging von der Annahme
aus, daß für die verwendeten Wertstufen bzw. die Einstufung
in solche ein allgemeiner Konsens besteht. Diese Einschätzung
wurde durch die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Erhebungen
bestätigt.
Als "Belebungen" wurden eingestuft:
Als "Störungen" wurden eingestuft:
Nutzung: Als weiteres Kriterium wurde die Nutzung kartiert. Es zeigte sich jedoch, daß die Relevanz dieses Kriteriums aufgrund der überwiegenden Grünlandnutzung der Marsch von untergeordneter Bedeutung war.
Die Beschreibung der Kriterien erfolgte nach Möglichkeit dreistufig (hoch-mittel-gering) oder verbal. Die Kartierung wurde in einer EDV-Datenbank festgehalten, geordnet und dokumentiert. Da aufgrund der geringen ästhetischen Komplexität der Marschlandschaft nur relativ wenig Kriterien erhoben werden konnten, dafür jedoch das Beobachtungsnetz relativ engmaschig war, erschien eine grafische Auswertung der Ergebnisse in Form von Überlagerung auf Transparenten ideal. Eine solche Vorgehensweise ist grundsätzlich einer mathematischen Aggregation vorzuziehen, da sie - im wahrsten Sinne des Wortes - sehr transparent ist, das Aggregationsergebnis somit einfach nachvollzogen werden kann.
Von hoher Signifikanz erwiesen sich vor allem die Kriterien Sichtweite und Vertikale Strukturierung, welche in Verbindung mit den Störungen bzw. Belebungen eine deutliche Aussage über die visuell-ästhetische Vorbelastung eines Landschaftsaspektes geben konnten. Zusammen mit den aus der Kartierung des Landschaftsrahmenplanes übernommenen Sichtraumgrenzen (Vegetation) konnten auf diese Weise Landschaftsräume gleicher ästhetischer Qualität und Empfindlichkeit differenziert werden, wobei folgende Arbeitshypothesen zur Anwendung kamen:
1. Je höher die Sichtweite, um so höher die Empfindlichkeit;
2. Je geringer die Strukturierung, desto höher die Empfindlichkeit;
3. Je geringer die Vorbelastung, desto höher die Empfindlichkeit.
Durch die Ergebnisse der parallel verlaufenden sozialwissenschaftlichen Analyse wurden diese Arbeitshypothesen verifiziert und damit auf eine breitere Basis gestellt als auf das alleinige Urteil eines "Experten".
Zur
Ermittlung der Gestaltqualität von WEA wurden bestehende Anlagen
und Windenergieparks auf ihre landschaftsprägende Wirkung hin
analysiert und fotografisch dokumentiert. Hierbei wurden sowohl
unterschiedliche Bauweisen bei Einzelanlagen wie auch unterschiedliche
Formen der Anordnung bei Windenergieparks untersucht. Die Erhebungen
wurden im nordfriesischen und süddänischen Raum
durchgeführt.
4. Ergebnisse
Die
Ergebnisse der Untersuchung bestätigen sich in ihren verschiedenen
methodischen Ansätzen wechselseitig. Darin drückt sich
zweifellos eine hohe Validität der gesamten Studie aus. Das
bedeutet aber nicht, daß auf eines oder gar zwei der methodischen
Verfahren hätte verzichtet werden können. Die Ergebnisse
stehen vielmehr in dem folgenden Verhältnis zueinander: Alle drei
empirischen Zugriffe überschneiden sich in ihren essentiellen
Resultaten und bilden so einen gemeinsamen, sich gegenseitig
bestätigenden Pool von Erkenntnissen und Empfehlungen über
eine natur- und sozialverträgliche Ausweisung von Standorten.
Darüberhinaus weist aber jeder Ergebnisbereich seinen spezifischen
Erkenntnisertrag aus. So ist es die Gesamtheit der
Forschungsergebnisse, die die administrative und politische Verwertung
der Studie auf eine breite Basis stellt.
4.1. Sozialwissenschaftliche Ergebnisse
Die wichtigsten Ergebnnisse werden in Form von Thesen zusammengefaßt dargestellt:
A) Touristen (wie Ortsansässige) sind der Nutzung regenerierbarer Energiequellen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber eingestellt.
B) Sowohl Touristen als auch Ortsansässige machen sich den bevorstehenden Wandel durch "schlechte" Vergleiche erträglich: "An Hochspannungsleitungen haben wir uns gewöhnt, dann werden wir uns auch an WEA gewöhnen." Es gibt viele dieser oder ähnlicher kognitiver Legitimationsstrategien, die in den qualitativen Interviews zum Ausdruck kommen. Diese legitimierenden Vergleiche sind nie als Zustimmungen zu bewerten! Es handelt sich hier viel eher um ästhetische Selbstdisziplinierungen, die als abgeklärte Vorbereitungen auf die bald vielleicht schon veränderte Erscheinung der Landschaft fungieren. Es ist die Einstimmung auf einen Wandel, der mehr oder weniger notgedrungen hingenommen werden muß - wenngleich für eine "gute Sache".
C) Der bevorstehende Wandel ist subjektiv nur sehr schwer vorstellbar und deshalb auch der Sozialforschung nicht unmittelbar zugänglich. In diese Indifferenz wirken zusätzlich die oben beschriebenen Variablen der politischen Moralisierung ein. Das führt zu Verzerrungen in der Antizipation; zwei Beispiele:
Der Kern dieser und ähnlicher Aussagen liegt "hinter" dem Text: Rede und Sprache der Leute fallen auseinander. Geredet wird über fast grenzenlose Akzeptanz, gesprochen über Unsicherheit, Unbehagen und die (angenommene?) Moral, etwas positiv erleben zu müssen bzw. zu sollen. Eklatante Informationsdefizite werden überaus deutlich. Diese sind aber angesichts einer geradezu exzessiv betriebenen Öffentlichkeitsarbeit der zuständigen Ministerien eher Produkt als Mangel der Öffentlichkeitsarbeit, denn diese hat ganz offensichtlich weniger mit Aufklärung zu tun, als mit "mentaler Konditionierung."
D) Ortsansässige sehen den Wandel ihrer Umwelt politischer als Touristen. Für Ortsansässige geht es um die Umgestaltung der eigenen Lebenswelt, für Touristen dagegen nur um die Veränderung der Ausstattung einer Ferienwelt, die nach Belieben getauscht werden kann, wenn sie nicht mehr gefällt. Ferienwelten sind strukturell flüchtig; man kann sie auch als Oberflächen begreifen, die je nach Freizeit- und Erholungsbedarf gewählt, abgetastet und gegebenenfalls verworfen werden. Für Ortsansässige kommen dagegen weitaus vitalere Beurteilungskriterien ins Spiel. Für sie geht es um die Erhaltung der sozialen Perspektive identitätsstiftender Wege und Chancen der Umweltaneignung.
E) Regionansässige und Touristen empfinden die offene Marsch- bzw. Küstenlandschaft als so regionscharakteristisch, daß starke visuelle Eingriffe durch hohe WEA (mit drehenden Rotoren) als störend erlebt werden.
F)
Insbesondere Touristen halten solche Standorte für besonders
geeignet, "die man nicht sehen kann." Abgesehen davon, daß es
diese aufgrund der Bauhöhe moderner Anlagen kaum geben kann, legt
die Präferenz ein wichtiges Kriterium der Wahrnehmung frei:
Solange die eigenen "Bilder" der Landschaft nicht durch
Hinzufügung 'störender' Objekte 'beschädigt' werden,
kann eine Entwicklung der Freizeittauglichkeit einer Region nichts
anhaben.
An diesem Punkt verläuft die zentrale Konfliktlinie
zwischen der Ästhetik der Einheimischen und der Ästhetik der
Nichteinheimischen: dauerhafte und zeitlich befristete Identifikation
stehen angesichts einer einschneidenden Umweltveränderung
(zumindest latent) gegeneinander.
G) Als "gute" Standorte für WEA treten in der Wahrnehmung von Regionsansässigen und Touristen hervor: Standorte, die durch technische und gewerbliche Anlagen bereits stark aus dem kulturlandschaftlichen Gefüge herausgehoben sind. Anlagen werden in diesem Kontext als gewerbliche und - je nach räumlicher Konzentration - als Industrieanlagen gesehen. Dennoch birgt auch diese Präferenz ein Konfliktpotential, denn bereits belastete Räume können überlastet werden. Zur letztlichen Entscheidung über konkrete Standorte sind deshalb landschaftsplanerische Detailkonzepte zu erarbeiten.
Insgesamt
haben die Ergebnisse aus der qualitativen Sozialforschung über die
Expertensicht der Landschaftsplanung hinaus planungsrelevante
Aufschlüsse über die soziale Akzeptanz von
Landschaftsveränderung und Landschaftsplanung ergeben. Diese sind
hilfreich für den Prozeß der administrativen und politischen
Entscheidung unter dem Aspekt der Legitimation öffentlichen
Handelns.
4.2. Landschaftsplanerische Ergebnisse
Die Analyse der landschaftlichen Gestaltqualität führte zu einer Unterscheidung von drei Empfindlichkeitsstufen:
Stufe I: Geringe Vorbelastung: Hohe Empfindlichkeit, WEA sollten grundsätzlich nicht errichtet werden.
Diese Stufe bezeichnet Landschaftsräume, welche sich durch hohe
Sichtweiten bei etwa mittlerer vertikaler Strukturierung sowie
weitgehende Freiheit von Elementen der technischen Zivilisation bzw.
Sichtbeziehungen mit solchen auszeichnen. Die Strukturierung wird durch
Gehölze bewirkt, welche zwar zumeist im Siedlungsbereich vom
Menschen angepflanzt sind, jedoch in hohem Maße den Aspekt der
Natürlichkeit bzw. den der einträchtigen Koexistenz von
Mensch und Natur vermitteln. Derartige Landschaftsräume werden als
charakteristisch für weite Teile der Wesermarsch angesehen, da das
Landschaftsinventar keine überall vorzufindenden Elemente der
technischen Zivilisation enthält. Bei der Einordnung der
ermittelten Landschaftsräume in diese Stufe wird auch der
Entwicklungsaspekt berücksichtigt, d.h. die Möglichkeiten,
die sich (z.B. durch Abbau bestehender Hochspannungsleitungen) ergeben
würden, soweit eine technische Machbarkeit aus heutiger Sicht
realistisch erscheint.
Stufe II:
Mäßige Vorbelastung, mittlere Empfindlichkeit, WEA sollten
nur errichtet werden, wenn eine gute Einbindung in die Landschaft
erzielt werden kann.
Diese Stufe bezeichnet Landschaftsräume, welche bereits von
Elementen der technischen Zivilisation mitgeprägt sind und bei
denen demzufolge der Bedeutungswandel der Landschaft schon eingeleitet
ist. Darüber hinaus ist bereits durch die Normteile der
technischen Zivilisation eine gewisse Nivellierung des
Landschaftsbildes eingetreten, so daß die Errichtung von WEA
diesen Effekt nicht oder nur unwesentlich zur Folge haben würde.
Stufe III: Hohe Vorbelastung: Geringere Empfindlichkeit, WEA sollten hier vorrangig errichtet werden.
Diese Stufe bezeichnet Landschaftsräume in der Nachbarschaft
industrieller Anlagen oder solche, welche durch industriell anmutende
Landwirtschaft geprägt sind. Die Errichtung von WEA würde
hier keinen grundsätzlichen Bedeutungswandel der Landschaft zur
Folge haben. Im Gegenteil ist durchaus denkbar, daß durch WEA in
diesen Bereichen eine positive Assoziation der relativ
umweltfreundlichen Nutzung regenerativer Energiequellen hervorgerufen
würde, der den Wandel des gesellschaftlichen Bewußtseins hin
zu mehr Verantwortung gegenüber der Umwelt dokumentieren
könnte.
Im Untersuchungsgebiet konnten insgesamt 20 Landschaftseinheiten
unterschieden und jeweils einer der drei genannten Stufen zugeordnet
werden. Die Zuordnung wurde verbal begründet. Darüber hinaus
wurde eine Kurzbeschreibung jeder Landschaftseinheit vorgenommen.
Darüber hinaus wurden auch Hinweise für
Entwicklungsmöglichkeiten und -maßnahmen in
ästhetischer Hinsicht gegeben.
Die Analyse der Gestaltqualität von WEA und Windparks brachte
umfangreiche Erkenntnisse über deren Erlebniswirkung, welche
Aussagen zur Gestaltung derartiger Anlagen ermöglichten. Insgesamt
wurden - neben den Standortpräferenzen - folgende Empfehlungen
ausgesprochen4:
1. Eine optische Konkurrenz von WEA mit historischen Landmarken sollte unbedingt vermieden werden.
2. Eine optische Dominanz mehrerer Einzelanlagen sollte durch hinreichende Abstände (5 km in Landschaftsräumen mit hoher Sichtweite, 3 km in solchen mit mittlerer oder geringer Sichtweite) verhindert werden.
3. Einzelanlagen sollten niemals in der Mitte freier Landschaftsräume errichtet werden, sondern immer an deren Rand.
4. Bei Planung von WEA sollten zunächst die Betrachterpositionen, welche für das Erleben des geplanten Standorts wesentlich sind, ermittelt werden.
5. Der Standort sollte so gewählt werden, daß der Mastfuß und ein möglichst großer Teil des Mastes aus den wesentlichen Betrachterpositionen verdeckt sind. Erst wenn dies nicht möglich erscheint, sollten weitere Pflanzungen erwogen werden.
6. WEA, besonders Windenergieparks, sollten nach Möglichkeit aus axialen Betrachterpositionen wahrgenommen werden.
7. Bei der Anlage von Windenergieparks sollten alle Einzelanlagen das gleiche Konstruktionsprinzip aufweisen.
8. Im Interesse einer räumlichen Konzentration des Windenergieparks sollten die Abstände zwischen den einzelnen Anlagen möglichst gering gehalten werden.
9. Das Anordnungsprinzip der Einzelanlagen in einem Windenergiepark sollte von möglichst vielen Betrachterpositionen aus erkennbar sein.
10. Bei kleineren Windenergieparks mit einer Gesamtanzahl von unter 8 Anlagen sollte grundsätzlich eine ungerade Zahl von Anlagen errichtet werden.
11. Die Nabenhöhe bei Einzelanlagen sollte nicht mehr als 1/3 über die Höhe der maßstabsprägenden Landschaftselemente hinausragen. Höhere Anlagen sollten in der Nähe hochaufragender Elemente errichtet werden (z.B. in Hafennähe oder in die Nähe von Hochspannungsleitungen.
12. Masten sollten die Landschaft nicht dominieren. Sie sollten so schlank wie möglich sein und sich nach oben verjüngen. Ihre Farbgebung sollte sich der Landschaft anpassen; Schneeweiß sollte nicht zur Anwendung kommen.
13. Die Anzahl der Rotorblätter sollte immer ungerade sein, damit sich zwei Blätter nicht gegenüberliegen. Vorzugsweise sollten Dreiblattrotoren zum Einsatz kommen.
Die Anwendung
der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung stellt einen sensiblen
Punkt dar, weil in der öffentlichen Meinung oftmals die
umweltpolitsch sinnvolle Nutzung der Windenergie den negativen
Auswirkungen von WEA auf Natur und Landschaft gegenübergestellt
wird (vgl. Pkt. 2). Es muß jedoch festgestellt werden, daß
bei der Dimension der Anlagen (Nabenhöhen zwischen 50 und 100 m)
ein ästhetischer Ausgleich, d.h. eine Integration in die
Landschaft, allein aufgrund der hohen Sichtweiten und der Art der
Anlagen nicht möglich ist. Die Notwendigkeit von
Ersatzmaßnahmen für WEA wird nicht überall eingesehen,
vor allem, wenn - wie in Niedersachsen - der Konflikt zwischen
Naturschutz und Landschaftspflege einerseits und umweltpolitischen
Zielen andererseits innerhalb des Umweltministeriums ausgetragen werden
muß. Am Beispiel der Windenergienutzung ist festzustellen,
daß die Wende in der Energiepolitik längst nicht umfassend
genug ist, um Eingriffe in Natur und Landschaft effektiv zu reduzieren.
Solange keine Tendenz zu grundlegenden Energiesparmaßnahmen
erkennbar ist, macht auch eine verstärkte Nutzung von Wasser- und
Windenergie aufgrund ihrer ökologischen und ästhetischen
Eingriffe in Natur und Landschaft nur wenig Sinn.
5. Planung und Interdisziplinarität
Angesichts
immer komplexer werdender Planungsprozesse muß der apodiktische
Rückzug auf die fachliche Kompetenz zwangsläufig in die
Isolierung führen. Gerade der Naturschutz zeigt sich von dieser
Tendenz bedroht, obgleich er mit ständig wechselnden Fachpartnern
umgehen muß: Landschaftsplaner, aber auch
Naturschutzbehörden sind auf die Zusammenarbeit mit Biologen,
Geographen, Ingenieuren und Spezialisten anderer Fachdisziplinen
angewiesen. Es ist daher völlig absurd, die ästhetische
Beurteilung von Eingriffen in die Landschaft allein aus
"naturschutzfachlicher" Sicht vornehmen zu wollen, zumal die
Sozialwissenschaft ein geeignetes Instrumentarium hierfür
bereithält. Mit der fachübergreifenden Zusammenarbeit von
Landespflege und Sozialwissenschaft ist im Landkreis Wesermarsch ein
praktikabler Weg zur ästhetischen Beurteilung des durch die
Nutzung der Windenergie verursachten Eingriffs beschritten worden.
Dieser Weg endet nicht am Punkt der Ästhetik. Es ist
festzustellen, daß Bedürfnisse von Tieren und Pflanzen z.B.
im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen eingehend
untersucht werden, während jene der betroffenen Menschen "von
oben" durch Politiker und Fachbehörden hinreichend vertreten
scheinen. Die erheblichen sozialen Konflikte vor, während und nach
der Durchführung von Projekten zeigen aber gerade, daß dies
nicht immer den Erfordernissen der Betroffenen entspricht. Zur
Antizipation derartiger Konflikte und zu deren Lösung bereits im
Stadium der Planung stellt die qualitative Sozialforschung ein
Instrumentarium zur Verfügung, welches im Rahmen
interdisziplinär angelegter Prüfungen der Umwelt- und
Sozialverträglichkeit zum Einsatz kommen kann. Diese
Vorgehensweise hat sich am dargestellten Beispiel bewährt.
6. Literatur
BREUER, W.
(1991): Grundsätze für die Operationalisierung des
Landschaftsbildes in der Eingriffsregelung und im Naturschutz
insgesamt; in: Info-Dienst Naturschutz Niedersachsen 11, Nr. 4, S. 66 -
68.
HARD, G. (1991): Landschhafft als professionelles Idol; in: Garten + Landschaft, H. 3, S. 13 - 18.
HASSE, J./ SCHWAHN, CHR. (1992): Windkraft und Ästhetik der
Landschaft, Beispiel Wesermarsch, interdisziplinäre Studie in drei
Teilen, im Auftrage des Landkreises Wesermarsch, Bunderhee und
Göttingen.
HOPF, CHR. (1991): Befragungsverfahren; in: FICK, U. u.a. (Hrsg. 1991): Handbuch Qualitative Sozialforschung, München.
MAYRING, P. (1990): Einführung in die qualitative Sozialforschung, München.
RAUCH, W. / WERSIG, G. (1978): Delhi-Prognose in Information und Dokumentation, München u.a.
SCHWAHN, CHR. (1990): Landschaftsästhetik als Bewertungsproblem,
Beiträge zur räumlichen Planung, H. 28, Schriftentreihe des
Fachbereichs Landespflege der Universitsät Hannover.
WECHSLER, W. (1978): Delphi-Methode, Wirtschftswissenschaftliche Forschung und Entwikklung, Bd. 18, München.
WENZEL, J. (1991): Über die geregelte Handhabung von Bildern; in: Garten + Landschaft, H. 3, S. 19 ff.
WITZEL, A. (1982): Verfahren der qualitativen Sozialforschung, Frankfurt/M.
ZUR LIPPE, R. (1987): Sinnenbewußtsein, Reinbek.
Fußnoten:
1) Der Beitrag stützt sich auf die interdisziplinäre Studie
"Windkraft und Ästhetik der Landschaft: Wesermarsch", die im
Auftrage des Landkreises Wesermarsch duchgeführt und im Sommer
1992 abgeschlossen worden ist, vgl. Hasse, J. und Chr. Schwahn, 1992).
2) Es kann im Rahmen dieses Beitrages nur angedeutet werden, daß
das Naturschutzrecht mit den Begriffen "Schönheit", "Natur" und
"Landschaft" eklatante Bedeutungs-Leerräume hinterläßt.
Die juristische Interpretation und Explikation wird auch nicht
annähernd dem Stand der gegenstandsspezifischen Diskussionen in
den betreffenden sozialwissenschaftlichen Disziplinen gerecht (z.B.
Soziologie, Philosophie). "Landschaft" wird deshalb hier im
hermeutischen Sinne verstanden (vgl. o.). Aus denselben Gründen
wird der Begriff der "Schönheit" hier nicht als normatives
Kriterium verwendet. Anstelle dessen wird der Begriff der
"Ästhetik" als Prozeß-Dimension mimetisch hergestellter
Mensch-Umwelt-Beziehungen gebraucht.
3) FAZ vom 12.12.1991 (Nr. 288), S. 5 (Bonn begrüßt kombinierte Kohlendioxyd- und Energiesteuer).
4) Interessant ist die Feststellung, daß Paul Gipe auf
einem anderen Kontinent und etwas später sehr ähnliche
Feststellungen gemacht hat: Design as if People Matter: Aesthetic Guidelines for the Wind Industry. Tagungsbeitrag für Bellagio, Veröffentlichung geplant (20.01.2002, Academic Press, USA).